Da, wo sich heute kunstbegeisterte Dämchen und Herrlein ab und an zu Schampus und Whiskey ein smalltalkendes Stelldichein geben, umrahmt von den grauslichsten Exponaten moderner Kult- und Kulturprodukte, tummelten sich früher mal die kunstbeflissenen Eleven der staatlich-preußischen Kunstakademie. Die Säle rund um dieses Museums-Café – so laß’ ich mir den Zeisig weitererzählen – müssen sich also allerlei Scheußlichkeiten gewohnt sein; ganz zu schweigen von alledem, was diese Mauern wohl zu Gesicht bekommen haben – hier nimmt er einen tiefen Schluck und wird ganz ernst, kriegt Furchen auf der Stirn, und ich muß mich tummeln, ihn sein Glas leeren zu lassen, um es gleich wieder zu füllen, eh’ er mir unter der Feder sozusagen verblaßt: was diese Mauern im Reich zu sehen bekommen haben… von diesen Scheußlichkeiten wollen wir ganz schweigen.
Und wie um ernst zu machen mit dem Schweigen, wendet der Zeisig sich halb ab und blickt betrüblich auf einen Punkt, irgendwo drüben, an der andern Seite des Innenhofs. So laß’ ich mich mein Glas erheben: Wir wollen doch, so laß’ ich mich sagen, trinken auf die Errungenschaften der modernen Kultur.
Ja, trinken wir. Trinken wir auf diese neuen Verfehlungen menschlichen Geistes, der Zeisig: Die kosten keine Menschenleben, und es ist jedem freigestellt, ob er si sich zu Gemüte führen will. Doch laß’ er’s lieber bleiben, halb spöttisch zu mir: Diese Mutterstadt, Metropolis – früher durfte man noch Bilder malen, Skulpturen schlagen. Heute muß es immer gleich eine Installation sein, Happening mit Weingläsern und gelockten Korkenziehern. Und früher hatten die Produkte noch einen Namen: Mondlandschaft, kniender Mönch in Talaue. Singender Akt. Heute: eine drei Stockwerk hohe Kunststoffpuppe, wackelt andauernd mit dem Knie. An den Titel mag ich mich nicht erinnern. Umso mehr an jenen fantasievollen Raum im zweiten Geschoß. Sieht aus wie nach dem Krieg im Wachsfigurenkabinett. In der einen Ecke liegt ein abgetrennter Männerarm, hier hängt ein Torso, da ein Hintern – mit Notenlinien drauf. Alle drei: Kunstobjekte. Und kleine, weiße Schildchen verkünden: “Ohne Titel (Arm)”. Das zweite: “Ohne Titel (großer Torso)”, das dritte – “Ohne Titel (Hintern)”. Ja, es scheint so…
Was ich ihm genau erwidern sollte, war mir nicht recht klar – ich hatte die Dinger auch gesehen,
… doch noch besser wird’s – ein weiteres Glas unterstrich die Aussage – im Raum gleich nebenan. An der Tür ein geöffnetes Maschengittertor mit der bekannten gelben Plakette “high voltage – Lebensgefahr”. So spannend war’s dann auch wieder nicht: drinnen aus Baugerüst sowas wie ein Boxring aufgebaut, an den Wänden große, weiße Tafeln mit der Aufschrift “run” (dreimal) und “dog” (einmal). Und in einer Ecke des Raums in höchstens typographisch außergewöhnlicher Aufmachung: “why must I feel like that why must I chase this cat”. Und hier steht zu lesen: “(Titel nicht verfügbar)”.
Der Zeisig bemühte sich, Haltung zu bewahren, ein weiteres Glas wurde eingegossen, in einem Zug geleert und mit hellem Ton auf den schlanken Marmortisch geknallt. Wenn sich die eben nicht auf einen Namen einigen können, würde er sich der Musik zuwenden. Wer denn heut’ abend…?
Ich wagte es kaum zu flüstern: das Streichquartett “sine nomine”.
…
Das war zuviel, und nur noch der schale Geschmack des teuren Whiskey blieb zurück von Zeisig.